BEITRAG

 

Aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Spielraum

In der heutigen ersten Lesung (14.04.) wird das Gesetz zur Präimplantationsdiagnostik (PID) beraten. Nachdem der BGH am 6. Juli 2010 entschieden hat, dass die gesetzliche Regelung im Embryonenschutzgesetz nicht hinreichend konkret ist, um eine strafrechtliche Verurteilung herbeizuführen – über ein generelles Verbot der PID konnte der BGH gar nicht entscheiden –, hat der Gesetzgeber nun die Verpflichtung, eine hinreichend konkrete Regelung zu schaffen. Bis zu dem Urteil des BGH war die herrschende Meinung der Rechtswissenschaft, aber auch der Medizin und der Politik davon ausgegangen, dass die PID in Deutschland verboten ist. Wenn dies nun nicht mehr klar ist, kann nach meiner Meinung nur eine Klärung dieser Situation durch ein Verbot der PID im Embryonenschutzgesetz erfolgen, denn sie ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.

Das Recht auf Leben beginnt schon vor der Geburt, nämlich mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle. Ein Embryo ist selbstverständlich als Mensch anzusehen, ob im Mutterleib oder vor der Einschwemmung. Wer dies bezweifelt, zettelt eine Diskussion an, die ethisch und moralisch nach meiner Meinung unhaltbar ist, da sie zwischen dem Wert von Menschenleben differenziert. Für mich darf es keine Abstufung zwischen dem Wert menschlichen Lebens geben.

Artikel 1 Abs. 1 GG verbietet, einen Menschen wie eine Sache zu behandeln. Der Artikel gilt auch für ungeborenes Leben. Damit gilt die Menschenwürdegarantie ebenso für Embryonen. Durch die Bevorzugung von Embryonen mit passenderen Eigenschaften werden diese als bloßes Objekt behandelt, was mit der Menschenwürdegarantie nicht vereinbar ist. Erst recht werden die Embryonen zur Sache gemacht, die nicht genutzt werden, sondern – wie es dann heißt – verworfen werden. Gemeint ist, sie werden vernichtet.

Weiterhin wird nicht nur gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG Satz 1 verstoßen, sondern auch gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der das Diskriminierungsverbot von Behinderten festlegt. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Dabei dient die PID dem Zweck, Embryos bei denen eine Krankheit oder Behinderung festgestellt wurde, zu verwerfen und ihnen das Recht auf Leben zu verwehren. Lebenswertes und vermeintlich lebensunwertes Leben werden bewusst ungleich behandelt. Diese offenkundige Ungleichbehandlung von gesunden und behinderten Menschen sowie die Diskriminierung von Behinderten ist nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar.

Somit bleibt für die Beantwortung der Frage, ob Präimplantationsdiagnostik verboten werden soll oder nicht aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Spielraum. Denn letztlich treffen die Eltern und die verantwortlichen Mediziner eine unumkehrbare Entscheidung über das Leben oder den Tod eines Kindes. Wenn wir die Tür der PID auch nur einen Spalt öffnen, selektieren wir Leben nach seiner Qualität und werden ein Ausdehnen der Selektion auch in zukünftigen Diskussionen nicht mehr verhindern können.

Wenn die PID zugelassen wird, bedeutet dies ein Legalisieren der Unterscheidung menschlichen Lebens aufgrund einer Behinderung. Ein Schwangerschaftsabbruch allein aufgrund einer Behinderung ist nach der Reform des § 218a StGB im Jahre 1995 verboten worden, um eine solche Diskriminierung zu verhindern. Der Gesetzgeber hat auch im Stammzellengesetz festgelegt, dass es untersagt ist, embryonale Stammzellen einzuführen und zu verwenden, wenn der Verdacht einer genetischen Auswahl besteht und diese Embryonen verworfen werden.

Die Spirale, die „Pille danach“ und Schwangerschaftsabbrüche generell werden häufig mit der PID verglichen. Dabei gibt es einen eindeutigen Unterschied: die Spirale, die „Pille danach“ und der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen selektieren nicht. Sie beenden eine Schwangerschaft nicht aufgrund der möglichen Behinderung des Kindes. Eine Gleichsetzung dieser unterschiedlichen Lebenssachverhalte ist einfach falsch, genauso wie ein solches „erst-recht“-Argument insgesamt falsch ist. Es würde schließlich bedeuten, wenn schon Abtreibungen möglich sein sollen, dann ist es auch egal, dass Embryonen erzeugt werden, um einen erheblichen Teil von ihnen zu töten. Statistische Erhebungen haben nämlich gezeigt, dass bei Anwendung der PID 33,7 Embryonen selektiert und verworfen werden und nur ein Embryo tatsächlich geboren wird.

Genauso bei Spätabbrüchen. Diese dürfen nicht aufgrund der Behinderung des Kindes durchgeführt werden, sondern werden nur noch in akuten Notsituationen durchgeführt. Besteht zum Beispiel akute körperliche und seelische Gefahr für die Mutter, so ist ein Spätabbruch der Schwangerschaft erlaubt. Diese Konfliktsituation – Mutter oder Kind – ist im Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG in den Vordergrund gerückt.  Das ist keineswegs vergleichbar mit der Unterscheidung, wie sie bei der PID durchgeführt wird.

Ich werbe daher nachdrücklich für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik. Dies wird voraussichtlich dazu führen, dass Forscher und Mediziner, andere Mittel und Wege finden, Familien zu einem gesunden Kind zu verhelfen. Zu denken ist hier an die Polkörperchendiagnostik, bei der nicht Embryos, sondern Eizellen untersucht und selektiert werden. Das ist ein Unterschied, denn dann würde kein Embryo – und damit ein Mensch im frühen Stadium – verworfen, also zerstört.

 

IM PORTRAIT

Prof. Dr. Patrick Sensburg, MdB

Prof. Dr. Patrick Sensburg, geboren 1971 in Paderborn, ist Mitglied des Deutschen Bundestags. Der CDU-Politiker vertritt seit 2009 den Wahlkreis 148 Hochsauerlandkreis im Parlament. Mehr auf www.patricksensburg.de.